Als Walter Bernsdorff 1951 als junger Student nach Marburg kam, folgte er seinem verehrten Sportlehrer Fritz Finkenauer, den er schon kannte. Er nutzte all die Möglichkeiten der Mitgestaltung, die sich ihm und der Studentenschaft auf dem Feld der Leibesübungen in diesen Aufbaujahren boten und wuchs so intensiv in die Aufgaben des Instituts hinein, dass er 1959 akademischer Mitarbeiter wurde. Bald war er die rechte Hand von Erich Lindner, dem Direktor. Häufig sollte er ihn vertreten, etwa bei den Tagungen des Ausschusses der Institutsdirektoren in Deutschland. Dort lernte er die langjährigen IfL-Direktoren kennen, die zum Teil seit den 1930er Jahren Verantwortung trugen. Die Frage nach der NS-Vergangenheit und deren Aufarbeitung, besonders auch im Marburger Institut, wurde für ihn zu einem Lebensthema. Besonders die Biographie und das Lebenswerk von Peter Jaeck, dem 1937 verunglückten Gründungsdirektor, bewegte ihn. Schon 1964 erarbeitete er eine erste Ausstellung zu ihm. Es folgten weitere sporthistorische Forschungen. Sein 1977 herausgegebener Band zur Geschichte der Sportlehrerausbildung in Marburg initiierte die Aufarbeitung auch in anderen Instituten Deutschlands und ist bis heute bzgl. der Marburger Entwicklung maßgebend.
In den hochschulpolitischen Diskussionen der späten 1960er Jahre, als das Institut für Leibesübungen in das Institut für Sportwissenschaft überführt und einem Fachbereich zugeordnet werden sollte, war er ein meinungsstarker Mitstreiter. Er konnte forsch und fordernd sein. In all den Neuerungen der 1970er Jahre und bei all den personellen Wechseln stand er für Kontinuität.
Gefragt war sein zuverlässiges Engagement auch im adh. Bernsdorff betreute ganze 27 Jahre lang die Marburger Handballmannschaft, die regelmäßig an den Rundenspielen um die Hochschulmeisterschaft teilnahm. Da er zudem oft an den Sitzungen des adh als Marburger Vertreter teilnahm, ergab es sich, dass er 1973 in den hauptamtlichen Vorstand gewählt wurde. Einige Delegationen sind unter seiner Leitung in die osteuropäischen Länder gereist, einmal war auch Thomas Bach, der heutige IOC-Präsident und damalige Florettfechter in der Nationalmannschaft, dabei. Sportspolitisch wirkte er zusammen mit seinen bereits verstorben Kollegen Christian Wopp (Oldenburg) und Enno Harms (Hannover) mit.
Kritisch begleitete er in der Fachöffentlichkeit den Schulsport der 1970er Jahre, als der Leistungssport etwas zu wichtig wurde. Und er war vor allem Fachdidaktiker, natürlich im Handball und auch im damals modernen Volleyball. Viele Studierende sind durch seine fachkundige Ausbildung gegangen. Er gehörte noch zu der Generation der IfL-Mitarbeiter, die wie selbstverständlich zugleich im Hochschulsport und im Vereinssport der Stadt engagiert waren. Das war durchaus typisch für die Entwicklung der Sportstadt Marburg, die so eng mit dem IfL verbunden war. Davon profitierte nicht nur der VfL Marburg mit seiner Handball-Abteilung, die er langjährig leitete, sondern besonders auch die sporthistorisch Interessierten. Dass wir heute so viel über die Freien Turner, die jüdischen Vereine, die Arbeiter Turn- und Sportvereine in Marburg und den Männerturnverein von 1907 und all die Vereine in Ockershausen und anderen Stadtteilen wissen, ist vor allem auch sein Verdienst. Walter Bernsdorff hat das IfL nicht nur über 40 Jahre bis zu seiner Pensionierung 1991 in all den Veränderungen mitgestaltet, sondern hat auch wesentlich dazu beigetragen, dass das IfL das Jubiläumsjahr 2024 auf einer fundierten Grundlage vorbereiten kann. Das hätten wir ihm gewünscht, dass er dieses Jubiläum noch mit uns gefeiert und begleitet hätte. Wir werden uns in Anerkennung und Dankbarkeit an ihn erinnern.
Alexander Priebe