Die Kunstturnerin ließ sich aber von dem vermeintlichen Rückschlag nicht unterkriegen und trainierte nach dieser Erfahrung mit dem hohen Ziel, bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 nichts anbrennen zu lassen. Eine Knieverletzung ließ diesen Traum jedoch zerplatzen.
Die Ausnahme-Athletin bewies in der sich anschließenden schweren Zeit einen starken Willen und erkämpfte sich nach einer langen Pause den Weg zurück in den nationalen Spitzensport – und zwar parallel zu ihrem schulischen Werdegang. Diese große Willensstärke sollte sie auch in ihrer weiteren Karriere noch brauchen, denn kurz vor dem nächsten großen internationalen Turnier – der Universiade 2019 in Neapel – zog sie sich erneut eine schwere Knieverletzung zu.
Wie sie es geschafft hat, nicht nur an dieser Großveranstaltung teilzunehmen, sondern sich auch für das Finale zu qualifizieren und es mit einem starken vierten Platz abzuschließen, haben wir sie im Interview gefragt.
Janine, du trainierst das Kunstturnen seit du sechs Jahre alt bist auf Leistungsebene. Den Spagat zwischen Bildungsweg und Sportkarriere vollbringst du also schon lange. Wie ist es dir bisher gelungen, beides in Einklang zu bringen?
Janine Berger: Ich glaube, man entwickelt im Sport Ehrgeiz, Disziplin und Struktur, egal um welche Sportart es geht. Da mich das Turnen von Kindesbeinen an begleitet hat, bin ich von Anfang an in diese Doppelbelastung reingewachsen und habe gelernt, damit umzugehen und sowohl auf dem schulischen Weg als auch im sportlichen Bereich das Beste zu geben.
Das ist nicht so einfach, wie es jetzt klingt, aber wenn man einen starken Willen aufbringt, kann man das schaffen. Natürlich ist mir mein Studium wichtig und ich will neben dem Sport auch dort volle Leistung bringen.
Was studierst du eigentlich?
Ich mache momentan einen Bachelor in Sportmedien und Eventmanagement. Damit habe ich eine gute Mischung aus Theorie und Praxis. Ich bin sehr zufrieden, das war die richtige Wahl.
Deine Teilnahme an der Universiade in Neapel ist jetzt etwas über ein Jahr her. Wenige Wochen vor diesem internationalen Wettkampf hast du dir eine schwere Knieverletzung zugezogen.
Ja, das stimmt, ich habe mir im März letzten Jahres eine Meniskusverletzung zugezogen. Das Ganze hat sich in eine lange Serie von Verletzungen eingereiht, auf die ich jetzt nicht eingehen will, weil das den Rahmen sprengen würde. Aber wichtig ist: Im Jahr 2016 ist mein Traum von Rio wegen einer Knieverletzung geplatzt, ebenfalls wegen dem Meniskus.
Ich konnte danach ein Dreivierteljahr lang nicht mehr in die Halle. Das war eine schwere Zeit, denn wenn man so oft und hart trainiert, fehlt das plötzlich sehr. Es entsteht ein Leerraum, mit dem man schwer umgehen kann und der einen am Sinn des Ganzen zweifeln lässt.
Nach einer langen Pause war ich endlich wieder fit, konnte wieder trainieren. Aber dann im März 2019, kurz vor der Universiade, kam dann diese neue Verletzung beim Sprung-Training, und es war wieder das gleiche Knie.
Wie ging es dir damit?
Die Ärzte haben gesagt, es bestehe eine winzige Hoffnung, dass es möglich sein könnte, vor der Universiade wieder zu trainieren. Und diesen winzigen Funken Hoffnung wollte ich ergreifen und darauf aufbauen. Ich hatte eine gute ärztliche Betreuung und eine aufwändige Reha.
Natürlich hat die bevorstehende Universiade auch Druck im Kopf aufgebaut, ich wusste, dass es eine Herausforderung wird. Aber im Juni konnte ich schließlich wieder an den Geräten üben.
Rückblickend hätte ich es nicht knapper timen können. Hätte das Auskurieren der Verletzung wenige Tage länger gedauert, hätte ich nicht zur Universiade fahren können.
Dein Körper hat sich optimal erholt, aber wie sah es mit der mentalen Sicherheit aus?
Es war wichtig, gezielt daraufhin zu arbeiten, dass ich sie zurückbekomme und angstfrei springen konnte. Das ist nach einer solchen Verletzung natürlich ein entscheidender Faktor.
Aber die Reha und die medizinische Betreuung haben mir das Vertrauen zurückgegeben. Ich konnte sogar wieder Maximalkrafttraining absolvieren und das war absolut ausreichend, um zu sehen, dass das Knie der Belastung standhält
Als du dann im Juli zur Universiade angetreten bist, hattest du keine negativen Gedanken mehr, dass dein Knie versagen könnte?
Nein, davor hatte ich keine Angst. Ich war aufgeregt, aber nicht wegen Gedanken an Verletzungen, sondern weil ich zu diesem Zeitpunkt lange nicht mehr im deutschen Trikot gestartet war. Das würde ich eher als eine positive Wettkampfaufregung beschreiben.
An die Geräte bin ich mit großer Sicherheit gegangen. Wegen dieser ganzen Vorgeschichte habe ich mich sogar sicherer gefühlt als bei vorherigen Turnieren, denn ich wusste durch zahlreiche Checks, dass definitiv alles in Ordnung ist. Das habe ich beim Training und Maximalkrafttraining deutlich gespürt.
Hat dein Umfeld diese Leistung für möglich gehalten?
Mein privates Umfeld hat mich unterstützt und auch zur Universiade begleitet. Aber es gab tatsächlich Menschen in meinem sportlichen Umfeld, die nicht an mich geglaubt haben. Was Skeptiker gedacht haben, war mir allerdings egal, denn ich habe daran geglaubt, dass es möglich ist und ich wusste, dass ich das schaffen werde!
Mein damaliger Trainer aber hat bezweifelt, dass ich überhaupt jemals wieder springen werde. Dementsprechend hat er anderen Dingen eine höhere Priorität eingeräumt als meinem Training. So kam es, dass ich mich selbstständig auf die Universiade vorbereitet habe, ohne Anweisung anderer.
Das klingt bitter.
Ja, meine Universiade-Teilnahme wäre fast daran gescheitert, dass ich keinen Trainer hatte, den ich mitnehmen konnte und nicht an dem Knie, wie man meinen könnte.
Die Meldefrist rückte näher und ich musste dringend jemanden finden, der mich zur Universiade begleiten würde. Da ist mir dann sofort Pia Tolle eingefallen, die ich aus dem Nationalteam kenne und mit der ich lange befreundet bin. Sie ist eingesprungen und hat mich während der Universiade hervorragend betreut. Auch deswegen war es eine wunderschöne Zeit. Das Private und das Berufliche konnten wir sehr gut trennen, alles hat super funktioniert.
Was bedeutet dir dein 4. Platz heute?
Ich war damals absolut zufrieden damit und bin es auch heute noch. Jeder Athlet wünscht sich, seine beste Trainingsleistung im Wettkampf abrufen zu können, und genau das ist mir gelungen. Und noch dazu am Barren, der normalerweise mein schwächstes Gerät ist! Am Sprung war ich zwar nicht so gut wie gewohnt, aber ich bin unglaublich stolz, dass ich dort angetreten bin! Heute frage ich mich selbst, wie ich das nach drei Monaten Pause und fünf Operationen geschafft habe.
Was ist das Wichtigste, das du bei der Universiade gelernt hast?
Zum einen habe ich gelernt, dass man mit Willen alles erreichen kann. Zum anderen habe ich bei der Universiade zum ersten Mal gemerkt, dass man einen Wettkampf in vollen Zügen genießen kann.
Bei einer Universiade ist der Druck nicht so hoch wie bei den Olympischen Spielen. Alle dort lieben ihren Sport, aber gehen ihm ohne diesen gigantischen Konkurrenzdruck nach, den man von anderen Großveranstaltungen kennt. Es ist eine lockere Atmosphäre, die sich auf alle Athleten positiv auswirkt. Und das war wirklich eine sehr schöne Erfahrung.
Welche Universiade-Momente sind dir besonders in Erinnerung geblieben?
Eindeutig die Eröffnungsfeier. Bei den Olympischen Spielen 2012 konnte ich leider nicht bei der Eröffnungsfeier dabei sein, weil ich gleich zu Beginn der Spiele den ersten Wettkampf hatte. Dafür war das Stadion in Neapel beim Einmarsch der Athletinnen und Athleten voll, und die Atmosphäre kann man schon mit Olympia vergleichen.
Außerdem erinnere ich mich natürlich an meine Finalübung, die genau so lief, wie ich mir das gewünscht hatte. Zumal ich gegen Konkurrenz antrat, die vorher bei den Olympischen Spielen Medaillen gewonnen hatte.
Es war ein Mega-Moment und Pia, meine Mutter und mein Freund waren dabei. Dadurch hat es sich noch besser angefühlt
Würdest du, sofern es deine Studienpläne ermöglichen, erneut an einer Universiade teilnehmen?
Ja, auf jeden Fall, ich würde gerne nächstes Jahr nochmal teilnehmen, das ist mein Wunsch. Die Universiade war eine unbeschreibliche Erfahrung, die für immer in meiner Erinnerung blieben wird.
Warum sollte sich der adh für die Austragung einer Sommer-Universiade in Deutschland bewerben?
Eine Universiade in Deutschland würde dem Hochschulsport eine größere mediale Aufmerksamkeit verschaffen. Ich habe den Eindruck, dass er in anderen Ländern deutlich bekannter ist. In Deutschland muss sich da noch einiges tun.
Davon abgesehen würde es den ganzen deutschen Sport insgesamt nach vorne bringen und besonders im Bereich der Nachwuchssuche einen wertvollen Beitrag leisten.