Notnagel als Glücksfall
Nach dem Realschulabschluss begann Wolfram Seidel eine Lehre als Schriftenmaler und Dekorateur, brach diese jedoch nach einem Jahr ab, um Abitur zu machen. Nach der Bundeswehrzeit studierte er in Saarbrücken, 1975 wurde er Sportdozent an der RWTH Aachen. Als dort die Lehrerausbildung eingestellt wurde, orientierte er sich nach zwölfjähriger Dozententätigkeit um. Im Jahr 1987 wechselte er an die Uni Münster. Da die avisierte Stelle des Sportdozenten dort allerdings besetzt war, kam Seidel „wenig begeistert“ zum Hochschulsport. Dieser „Notnagel“ entpuppte sich als Glücksfall – für die Uni Münster, den adh und auch für Wolfram Seidel persönlich, wie er 2014 in einem Interview im Magazin hochschulsport schilderte.
Mit großer Kreativität und beeindruckendem Organisationsvermögen gestaltete Wolfram Seidel auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene den Hochschulsport und schrieb Hochschulsportgeschichte mit.
Historische Momente für den deutschen Hochschulsport
Seit der Herbstvollversammlung 1989 engagierte sich Seidel bis 1991 im adh-Vorstand. Anfang 1989 gab Sao Paulo (Brasilien) die Organisation der Universiade (heute FISU World University Games) aus politischen Gründen kurzfristig zurück. Duisburg übernahm am 22. März 1989 die Ausrichtung einer „Kern-Universiade“ mit den Sportarten Leichtathletik, Basketball, Fechten und Rudern. Seidel war vom ersten Tag an Mitglied des Organisationskomitees, unter anderem als Organisator der Fackelstafette. Während der Spiele betreute er als stellvertretender Delegationsleiter das deutsche Team.
Nach dieser erfolgreichen, „wahnsinnigen und kräftezehrenden Mammutveranstaltung“ gab es keine Pause – und für Seidel den nächsten historischen Moment der Verbandsgeschichte, den er mitgestaltete.
Am 9. November 1989 leitete er eine adh-Tagung an der Willi-Weyer-Akademie in Berlin. „Wir wussten schon damals, dass wir den Titel der Tagung vergessen würden, nicht aber das Ereignis, das an diesem Tag in Berlin wie ein Orkan einbrach. Der Mauerfall! Und kaum hatten wir das realisiert, begannen die Gespräche und Verhandlungen in Ost-Berlin mit dem damaligen Hochschulsportverband der DDR“, schilderte Seidel.
Das Ergebnis war die Gründung des gemeinsamen deutschen Hochschulsportverbands bei der Vollversammlung 1990 in Leipzig. Für Seidel stand der nächste historische Moment an. Er führte nach der Wiedervereinigung Anfang 1991 als Delegationsleiter die erste gesamtdeutsche Delegation im deutschen Sport bei der Universiade in Sapporo (Japan).
Auch als Mitglied des adh-Wettkampfausschusses, Geschäftsführer der Studierenden-Weltmeisterschaft Judo 1994 in Münster sowie mit der Ausrichtung der adh-Vollversammlung 1990, 2010 und der Perspektivtagung 2013 und prägte Seidel mit seinen Impulsen und seinem Engagement in höchstem Maße den Hochschulsport auf nationaler und internationaler Ebene.
Wertschätzung für den Hochschulsport auf Landesebene
Auf Landesebene in NRW trug Seidel als langjähriger Vorsitzender der Landeskonferenz Hochschulsport durch sein Engagement maßgeblich dazu bei, dass sich der Hochschulsport durch die stetige politische Arbeit zunehmend Anerkennung verschaffen konnte. Gemeinsam mit Michael Fahlenbock und Nico Sperle entwickelte er die Idee vom „Jahr des Hochschulsports 2003“ in NRW. Als Veranstaltungsreihe durchgeführt, trug sie maßgeblich zur Wertschätzung des Hochschulsports in den Hochschulen, Ministerien und politischen Parteien im Lande bei.
Rasante Entwicklungen in Münster
An der Uni Münster hat Seidel 27 Jahre lang kreativ gearbeitet. Ab 1998 leitete er als Nachfolger von Manfred Hahn den Hochschulsport Münster, der 1997 den Status einer „Zentralen Betriebseinheit“ erlangt hatte.
Er forcierte und begleitete dessen rasante und erfolgreiche Entwicklung. Unter anderem ging die in den 1990er Jahren umstrittene Entwicklung, wie in Hamburg auch den Hochschulsport in Münster für Studierende wie Bedienstete kostenpflichtig zu machen, auf ihn zurück.
Wolfram Seidel verstand sich stets als Teamplayer und leitete von diesem Selbstverständnis geprägt, sein hauptamtliches und studentisches Hochschulsport-Team. Dabei arbeite er zum Nutzen der Sportstudierenden und Hochschulsportteilnehmenden eng mit der Sportwissenschaft zusammen.
Drei Jahrzehnte Impuls- und Ratgeber
Für seine großen Verdienste verlieh der adh ihm bei der Vollversammlung 2013 in Bochum die Ehrenmitgliedschaft. Auch in seinem Ruhestand war Seidel, der als Vorstandsmitglied des Förderkreises Hochschulsport Münster dem Hochschulsport weiter eng verbunden blieb, ein wertvoller Ratgeber für den adh, der immer ein offenes Ohr für Fragen und Anliegen hatte und der da war, wenn er gebraucht wurde.
Abschied von Freund und Mitglied der adh-Familie
Wolfram Seidel bezeichnete den adh einst als „ein Teil meiner selbst“ und „große Familie“. Der adh-Vorstandsvorsitzende Jörg Förster knüpft daran an: „Wir nehmen Abschied von unserem Freund und Mitglied der adh-Familie. Wolfram war über Jahrzehnte ein wichtiger Orientierungspunkt und Vorbild für den adh sowie für die nationale und internationale (Hochschul-)Sportwelt. Seiner respektvollen, solidarischen und zupackenden Art haben wir viel zu verdanken. Wir werden ihm ein würdiges Andenken bewahren und seinen Rat und seine klare Haltung vermissen. Wir hoffen, die Rhine-Ruhr 2025 FISU World University Games, die letztlich auch ein Vermächtnis von Wolfram und seinem Wirken sind, in seinem Sinne zu gestalten.“
Traueradresse: Sabine Seidel, Pfarrer-Thiemann-Straße 7, 48599 Gronau
Die Trauerfeier mit Urnenbeisetzung findet am Samstag, den 10. Februar 2024 um 11 Uhr in der Kapelle des ev. Friedhofs in Gronau, Gildeshauser Str., statt.